Aktuelle Rechtsprechung

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Airline haftet für verschütteten Kaffee

EuGH, Urteil vom 15.12.2019 – Aktenzeichen: C-532/18:

Gemäß Art. 17 des Montrealer Übereinkommens haftet eine Airline bei Tötung oder Körperverletzungen von Personen, wenn sich der Unfall an Bord eines Luftfahrzeugs oder beim Ein- oder Aussteigen ereignet hat. Der BGH hatte hierzu bisher die Auffassung vertreten, dass sich bei einem solchen Unfall allerdings ein luftfahrtspezifisches Risiko verwirklichen muss.

Im zugrunde liegenden Fall hatte ein Fluggast einen Becher Kaffee ohne Deckel auf einen am Vordersitz befindlichen Klapptisch abgestellt. Der Becher kam aus unbekannten Gründen ins Rutschen und verbrühte die sechsjährige Tochter des Fluggastes. Die Airline vertrat die Ansicht, es handele sich nicht um ein luftfahrtspezifisches Risiko, so dass kein Unfall im Sinne des Montrealer Übereinkommens vorliege.

Nach Ansicht des EuGH erfasst der Begriff „Unfall“ jedoch jeden an Bord eines Luftfahrzeugs vorfallenden Sachverhalt, in dem ein bei der Fluggastbetreuung eingesetzter Gegenstand eine körperliche Verletzung eines Reisender verursacht hat, ohne dass ermittelt werden müsste, ob der Sachverhalt auf ein luftfahrtspezifisches Risiko zurückgeht. Der Luftftrachtführer haftet dann verschuldensunabhängig. Lediglich dann, wenn ein Mit- oder Alleinverschulden des Fluggastes gemäß Art. 20 Montrealer Übereinkommen nachgewiesen wird, kann der Luftfrachtführer eine Haftungsreduzierung erreichen.

Ausländische Bußgelder können auch gegen den Halter in Deutschland vollstreckt werden

EuGH, Urteil vom 05.12.2019 – Aktenzeichen: C-671/18:

Der europäische Gerichtshof hat entschieden, dass eine zuständige Behörde eines Mitgliedstaats die Anerkennung und Vollstreckung einer Geldbuße gegen den Fahrzeughalter wegen eines Verkehrsdelikts nicht verweigern kann, wenn die nach ausländischem Recht bestehende Halterhaftung widerleglich ist und der betreffende Fahrzeughalter vor der Entscheidung über die Verhängung eines Bußgeldes ordnungsgemäß informiert und angehört worden ist und ausreichende Zeit und Gelegenheit hatte, einen Rechtsbehelf einzulegen. Dementsprechend ist die Halterhaftung kein pauschaler Ablehnungsgrund für die Vollstreckung ausländischer Bußgeldbescheide.

Beilackierungskosten sind in der Regel auch bei fiktiver Abrechnung auf Basis eines Gutachtens erstattungsfähig

BGH, Urteil vom 17.09.2019 – Aktenzeichen VI ZR 396/18:

Bislang haben Versicherungen bei einer fiktiven Schadensabrechnung, etwa auf Basis eines Schadensgutachtens eines Sachverständigen nach einem Verkehrsunfall, die Erstattungsfähigkeit von Beilackierungskosten mit der Begründung abgelehnt, die Notwendigkeit einer Beilackierung sei erst im Rahmen der Durchführung der Reparaturmaßnahme feststellbar und daher seien diese Kosten nicht fiktiv auf Basis eines Gutachtens erstattungsfähig. Der BGH hat nun klargestellt, dass in der Regel das zu ersetzen ist, was aus Sicht des Gutachters an notwendigen Kosten entstehen wird. Der Geschädigte habe sich für eine pauschale Schadensregulierung auf fiktiver Basis entschieden. Bei einer fiktiven Abrechnung besteht indes grundsätzlich die Möglichkeit, dass einzelne Schadenspositionen – nicht nur Beilackierungskosten – im Nachhinein bei einer Reparatur höhere oder niedrigere Kosten als prognostiziert verursachen könnte. Prognostizierte Beilackierungskosten sind also bei fiktiver Abrechnung nach den gleichen Grundsätzen erstattungsfähig, wie die sonstigen im Gutachten prognostizierten Reparaturkostenbestandteile.

Schimmel im Kinderzimmer berechtigt zur fristlosen Kündigung

AG Bielefeld , Urteil vom 03.07.2019 – Aktenzeichen 415 C 56/18:

Die Mieter hatten aufgrund von Schimmelbefall im Kinderzimmer fristlos gekündigt. Hiergegen wandte sich der Vermieter. Er behauptete, der Schimmel sei durch die Mieter verursacht und meint, der Schimmel würde ohnehin nicht zur außerordentlichen Kündigung berechtigen. Der Vermieter klagt daraufhin auf weitere Mieten.

Das AG hat die Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Ursache der Feuchtigkeit abgewiesen. Der Sachverständige habe dargelegt, dass sich im Kinderzimmer tatsächliche feuchte Wände befinden und dies zumindest auch seine Ursache in baulichen Mängeln habe. Dieser Umstand berechtige auch zur außerordentlichen Kündigung, da dort ein Kleinkind gewohnt habe, für dessen Gesundheitszustand eine solche Situation nicht tragbar sei.

Abgasskandal: Keine deliktische Haftung wegen "Thermofenster"

OLG Koblenz , Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19:

Im Jahre 2017 der Kläger leaste einen neuen Mercedes Benz E 350 T CDI, in dem ein Motor OM 642 der Schadstoffklasse 6 eingebaut ist. Das Fahrzeug verfügt zur Minderung der Stickoxidemissionen über eine sogenannte Abgasrückführung. Das bedeutet, dass ein Teil des Abgases in das Ansaugsystem des Motors zurückgeführt wird und erneut an der Verbrennung teilnimmt. Die Abgasrückführung wird bei geringeren Außentemperaturen gedrosselt (sogenanntes Thermofenster). Der Kläger begehrte aus Delikt die Lieferung eines Ersatzfahrzeugs, hilfsweise Schadensersatz unter Rückgabe des Pkws.

Das Begehren wurde zunächst vom LG Mainz und nun auch vom OLG Koblenz abgewiesen. Denn anders als beim Einbau einer sog. „Schummelsoftware“, handele es sich nicht um eine eindeutig unzulässige Einrichtung. Es sei vielmehr zu berücksichtigen, dass die einschlägige Verordnung (EG) Nr. 715/2007 die Verwendung von Abschalteinrichtungen grundsätzlich gestatte. Dies allerdings nur dann, wenn die Abschaltung erforderlich ist, um den Motor vor Beschädigung zu schützen. Diese Ausnahmeregelung könne im Falle des „Thermofensters“ vorliegen. Da diese Ansicht vertretbar sei, könne hier kein besonders verwerfliches Verhalten der Beklagten vorliegen, sodass eine deliktische Haftung ausscheide.

Verfassungsbeschwerden gegen Dieselfahrverbot in Stuttgart nicht zur Entscheidung angenommen

BVerfG , Beschluss vom 01.10.2019 – 1 BvR 1798/19 u.a.:

Seit Anfang 2019 gilt im gesamten Stadtgebiet von Stuttgart ein Fahrverbot für Dieselfahrzeuge unterhalb der Abgasnorm Euro 5/V (d.h. Abgasnorm 4 und schlechter). Der Grund hierfür liegt in der Verpflichtung des Landes Baden-Württemberg, den Luftreinhalteplan so aufzustellen, dass die Stickstoffdioxid-Grenzwerte in der Stadt eingehalten werden. Hiergegen wandten sich neun Eigentümer der betroffenen Fahrzeuge zunächst erfolglos vor dem VG Stuttgart und dem VGH Mannheim. Sie stützten ihr Begehren in erster Linie auf die – ihrer Ansicht nach – unzureichenden Verkehrsschilder, mit denen das Fahrverbot durchgesetzt wird: Die Schilder seien nicht in der Weise erfassbar, wie vom Gesetzgeber gefordert. Schließlich legten die Betroffenen Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht ein. Dieses hat die Beschwerden nicht zur Entscheidung angenommen.

Zur Info: Dieselfahrverbote gelten in Hamburg auf der Max-Brauer-Alle für Pkw und Lkw sowie der Stresemannstraße für Lkw. Es droht ein Verwarnungsgeld i.H.v. ca. 25,00 €

Werkstatt haftet nicht zwangsläufig, wenn ein im Außenbereich abgestelltes Kundenfahrzeug beschädigt wird

Das LG Saarbrücken, Az.: 13 S 149/18, hat am 22.3.2019 entschieden:

„Jedenfalls dann, wenn ein vorhandener abgeschlossener Teil nicht ausreicht, alle Fahrzeuge unterzubringen, ist es grundsätzlich nicht sorgfaltswidrig, Fahrzeuge, die vor oder nach einem Werkstattaufenthalt in der Obhut der Werkstatt sind, auf einem Teil des Betriebsgeländes, der der Öffentlichkeit zugänglich ist, abzustellen (vgl. u.a. OLG München, Urteil vom 31. Januar 1995, 13 U 4950/94, ZfS 1995, 458).„

Die Werkstatt haftet also in diesem Fall nicht für Schäden, die an dem abgestellten Fahrzeug eines Kunden entstehen, sofern der Kunde nicht beweisen kann, dass jemand aus der Werkstatt das Fahrzeug schuldhaft beschädigt hat.

Welche Sicherungspflichten eine Werkstatt treffen kann und muss, ist aber in jedem Einzelfall individuell zu prüfen.

Nach Ansicht des OLG Koblenz kommt eine Haftung unmittelbar der VW AG bei unzulässigen Abschaltvorrichtung des Motors wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung in Betracht

Anders als das OLG Braunschweig, das noch im Februar 2019 eine Klage gegen die VW AG, also den Hersteller selbst, wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung im Zusammenhang mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung des Motors abgewiesen hatte, hat nun der 5. Zivilsenat des OLG Koblenz am 12. Juni 2019 entschieden, dass die Volkswagen AG dem Käufer eines Fahrzeugs, dessen Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu Schadensersatz verpflichtet ist. Der Kläger muss sich den durch die tatsächliche Nutzung des Fahrzeuges gezogenen geldwerten Vorteil, die sogenannte Nutzungsentschädigung, aber anrechnen lassen.

Abstandskontrolle (Section Control) nach Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vorläufig zulässig

Ende Mai 2019 ist nun § 32 Abs. 7 Niedersächsisches Polizeigesetz (NPOG) mit folgendem Wortlaut wirksam geworden:

„Die Verwaltungsbehörden und die Polizei dürfen im öffentlichen Verkehrsraum zur Verhütung der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von Kraftfahrzeugen nach Maßgabe des Satzes 2 Bildaufzeichnungen offen anfertigen und damit auf einer festgelegten Wegstrecke die Durchschnittsgeschwindigkeit eines Kraftfahrzeugs ermitteln (Abschnittskontrolle). Die Bildaufzeichnungen dürfen nur das Kraftfahrzeugkennzeichen, das Kraftfahrzeug und seine Fahrtrichtung sowie Zeit und Ort erfassen; es ist technisch sicherzustellen, dass Insassen nicht zu sehen sind oder sichtbar gemacht werden können. Bei Kraftfahrzeugen, bei denen nach Feststellung der Durchschnittsgeschwindigkeit keine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit vorliegt, sind die nach Satz 2 erhobenen Daten sofort automatisch zu löschen. Die Abschnittskontrolle ist kenntlich zu machen.“

Auf dieser Grundlage hat nun das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht Lüneburg durch Beschluss vom 3. Juli 2019 (Az. 12 MC 93/19) den vorausgegangenen ursprünglichen Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover vom 12. März 2019 im vorläufigen Rechtsschutz (Az. 7 B 850/19) geändert und den Antrag im Ausgangsverfahren abgelehnt, der Polizeidirektion vorläufig zu untersagen, von ihm geführte Fahrzeuge mittels der sog. „Section Control“ (= Abschnittskontrolle) auf der B 6 zwischen Gleidingen und Laatzen zu überwachen.